Samstag, 29. August 2009

Er stand nicht wieder auf

Nils. C. verunglückte bei einem Radrennen in Fischbek und liegt seitdem im Wachkoma

Von Sabine Lepél -Harburger Anzeigen und Nachrichten vom 29.08.2009-
Harburg.Auf seinen Fahrten ins rund 100 Kilometer entfernte Pflegeheim hat das Ehepaar C. aus Holm-Seppensen viel Zeit zum Nachdenken. Schrecklich viel Zeit. Denn seit fast einem Jahr fahren der promovierte Ingenieur im Ruhestand und die pensionierte Lehrerin fast täglich zweimal diese Strecke, um ihren Sohn Nils zu besuchen. Er liegt seit dem 20. September 2008 im Wachkoma. Dieser verfluchte Tag, an dem sich für den mittlerweile 41-Jährigen und seine Familie in einer Sekunde das komplette Leben veränderte. An diesem Sonnabend, an dem Nils C. sein altes Dasein verlor, an dem sein Sohn den Vater, seine Lebensgefährtin den Mann und seine Eltern den geliebten Sohn in eine andere Welt entlassen mussten, zu der sie keinen Zugang haben. An diesem 20. September 2008, an dem das Schicksal so gnadenlos zuschlug, geriet Nils C. bei einem von der RG Uni Hamburg organisierten Radrennen auf der Panzerringstraße innerhalb des Geländes der ehemaligen Kaserne Fischbek in einen Massensturz und verletzte sich dabei so schwer am Kopf, dass er seitdem im Koma liegt.
Nils C. war ein begeistertes Mitglied der Radsport-Abteilung von Blau-Weiss Buchholz. Der Suchtberater, der in einer Einrichtung der Diakonie in Buxtehude arbeitete, fand dort Gleichgesinnte, die den Radsport ebenso liebten wie er selbst. Doch diese Leidenschaft wurde ihm zum Verhängnis. Bei dem Rennen der RG Uni Hamburg stürzte ein Fahrer vor Nils C. vermutlich aufgrund einer Unebenheit auf der Betonpiste. Daraufhin kam es zu einem Massensturz, in den auch Nils C. verwickelt wurde. "Am linken Fahrbahnrand lag auf einem Grünstreifen der Geschädigte. Er war nicht ansprechbar und wurde von zwei Mitarbeitern des DRK Neu Wulmstorf beatmet. Ebenfalls auf dem Grünstreifen lagen das Rennrad des Geschädigten und sein Helm. Der Radhelm war gebrochen", heißt es in dem Polizeibericht zu dem Unfall.
"Plötzlich steht einer aus unseren Reihen nach einem Sturz nicht mehr auf", beschreibt Harry Weiland von der RG Uni Hamburg, dem damaligen Ausrichter des Rennens in der Wulmstorfer Heide, seine Gefühle auf einer Homepage, die für Nils C. eingerichtet worden ist (http://www.radsportler-helfen-nils.de/). Mit dieser Aktion soll vor allem die Ausbildung von C.s elfjährigem Sohn finanziell unterstützt werden. C. wurde nach dem Sturz mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht.
"Ich kannte Nils nicht persönlich, aber da hat sich einer so schwer verletzt, dass er seine Familie nicht mehr versorgen kann. Das war und ist für uns alle total schockierend", so Weiland. Gegen den Veranstalter hat es polizeiliche Ermittlungen gegeben, die mittlerweile eingestellt wurden. Ihm konnte kein fahrlässiges Verhalten nachgewiesen werden. Aus diesem Grund muss auch die Versicherung des Veranstalters nichts zahlen, der Familie C. bliebe nur der Weg, selbst Klage einzureichen.
"Ein zivilrechtliches Verfahren birgt ein hohes Kostenrisiko, und man muss einen langen Atem haben. Wir sind uns noch nicht schlüssig, ob wir das eingehen sollten", gibt Dr. Hermann C. zu bedenken.Seine Frau und er geben die Hoffnung nicht auf, dass ihr Sohn irgendwann wieder aufwacht. "Auch wenn wir nicht wissen, in welchem Zustand er sich dann befinden wird", sagt Hermann C. Sie haben das Zimmer ihres Sohnes mit Bildern von seiner Familie geschmückt, bringen ihm regelmäßig frische Blumen mit. "Wir sind nicht sicher, ob Nils das wahrnimmt", sagt sein Vater. Nils C. kann nur über die Augen mit seinen Eltern in Verbindung treten. "Wir empfinden, dass er unsere Ansprache mitbekommt. Er hat dann einen ganz offenen Blick", berichtet Hermann C. Und manchmal erleben die Eltern bei ihren Besuchen ganz besonders bewegende Momente, aus denen sich ihre Hoffnung speist: Ihr Sohn weint. "Wir spielen ihm häufig Musik vor. Soul und Blues. Das hat er früher so geliebt. Wenn er diese Klänge hört, laufen ihm die Tränen herunter", sagt der Vater. "Es hört sich vielleicht merkwürdig an, aber wir sind darüber froh. Es zeigt uns, dass Nils etwas empfindet."
Früher sei sein Sohn in seinem Beruf als Suchttherapeut aufgegangen. Durch sein berufliches Engagement habe er wenige, aber dafür sehr gute Freunde gehabt, sagt Dr. C. "Über seine Begeisterung für den Radsport hat er Gleichgesinnte gefunden."
Und die möchten nun etwas für ihren verunglückten Sportkameraden tun. "Deshalb haben wir die Homepage erstellt", so der Unternehmer und Initiator Karsten Niemann. "Nils und ich haben einige Trainingsfahrten zusammen unternommen und sind einige Radtourenfahrten zusammen gefahren. Mit Nils hat das immer viel Spaß gemacht. Er war so ein positiver Mensch, immer gut gelaunt. Mit ihm konnte man gut zusammen sein. Es war einfach schön, ihn um sich zu haben." Niemann ist selbst dreifacher Vater: "Mir ist das Risiko unseres Sports jetzt noch einmal richtig bewusst geworden. Ich bin vorsichtiger geworden." Der Buchholzer möchte mit dem Spendenaufruf insbesondere dem Sohn seines verunglückten Kollegen helfen: "Wir wollen den Einsatz der Spenden aber eng mit der Lebensgefährtin von Nils absprechen", sagt derInhaber der Firma MDS Messebau und Service. Bis gestern waren knapp 6300 Euro auf dem Konto. Einen zusätzlichen Schub erhoffen sich die Initiatoren vom Verkauf einer Trinkflasche (siehe unten).
Der Sohn von Nils C. wird im September zwölf Jahre alt. Seine Mutter und er besuchen ein Trauerseminar, denn auch wenn Nils C. nicht verstorben ist, müssen sie doch mit seinem Verlust umgehen lernen. Der Junge hat seinen Vater im Pflegeheim besucht und war sehr betroffen über die vielen Patienten in äußerst schlechtem Zustand, über ihre Gesichtsausdrücke, ihre Gestik. "Es ist für uns nachvollziehbar, dass es einem so jungen Menschen schwer fällt, den Vater in einem solchen Umfeld zu erleben. Unser Enkel möchte seinen Vater so in Erinnerung behalten wie er war: fröhlich und positiv", sagt Hermann C.
Am linken Fahrbahnrand lag auf einem Grünstreifen der Geschädigte. Er war nicht ansprechbar und wurde beatmet. Ebenfalls auf dem Grünstreifen lagen das Rennrad des Geschädigten und sein Helm. Der Radhelm war gebrochen.«

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